Eine interessante und vor allem nachdenklich stimmende Geschichte wurde der Redaktion eingereicht, die wir gerne zum Nachlesen auf unserer Website veröffentlichen wollen!

 

Die Geschichte stammt von Silvia Höltermann. Frau Höltermann selbst ist keine Taubenzüchterin, jedoch mit einem Züchter-Paar aus Vreden befreundet. Sie schrieb die Geschichte, die wir gern mit unseren Lesern teilen möchten, regt sie doch zum Nachdenken an und zeigt sie mit sehr einfühlsamen Worten die Kehrseite, mit der viele Beutetiere in der freien Natur konfrontiert sind.

 

Lisa die kleine Brieftaube

Es ist so dunkel hier, ich muss mich anstrengen, ich drücke ganz kräftig mit meinem Schnabel gegen die Eierschale. Ich habe es geschafft, ich bin da. „Willkommen kleine Lisa“, höre ich eine sanfte Stimme sagen. Mein Bruder liegt neben mir. Wir sind klein, hässlich und völlig abhängig von unseren Eltern. Mama und Papa füttern uns abwechselnd und halten uns mollig warm. Nur ein paar Tage und schon bin ich groß. Mama und Papa gehen manchmal nach draußen. Sie fliegen dann eine Runde, sagen sie. Bis jetzt kamen sie immer wieder zurück. Nur heute nicht. Mama kommt allein und mit weinenden Augen zu uns. „Wo ist Papa?“, frage ich. „Papa kommt nicht mehr wieder. Der große Schatten hat ihn gefangen. Zum Glück seid ihr beide schon so groß, dass ich euch die letzten paar Tage allein weiter füttern kann.“

 

Unser Herrchen, ein großer Mann mit großen Händen bringt meinen Bruder und mich in den Kindergarten. Hier sind ganz viele junge Tauben. Flusenköpfchen nennt er uns liebevoll. Mama kommt nicht mit. Ich bin traurig, aber ich kann nun allein trinken und essen und mit all den anderen Flusenköpfchen spielen und wachsen. Unser Zimmer ist groß und hat eine Voliere. Einmal am Tag öffnet unser Herrchen die große Tür, dann dürfen wir nach draußen. Ich fliege gern ein paar Runden ums Haus. Diese werden von Tag zu Tag größer. Heute bin ich ganz mutig. Meine Freundin Anna ist auch bei mir. Wir fliegen und fliegen und haben viel Spaß. Plötzlich taucht der große Schatten auf. Ich ducke mich, ich beeile mich, ich kann ihm entkommen, ich fliege schnell zurück zu meinem Schlag. Aber wo ist Anna? Hat er sie gepackt? Ich warte auf sie, aber sie kommt nicht. Auch am anderen Tag kommt Anna nicht wieder. Nun fliege ich jeden Tag weiter, um kräftiger zu werden. Ich passe gut auf und achte ganz doll auf den großen Schatten. Immer wieder kann ich den großen Schatten sehen, aber jetzt bin ich so flink, dass er mich nicht kriegen kann.

 

Heute greifen mich die großen Hände von meinem Herrchen und setzen mich mit weiteren Taubenkindern in einen kleinen Korb. Es ist rappelig und es dauert eine Weile bis sich die Klappe des Korbes wieder öffnet. Ich fliege raus. Aber wo bin ich? Nach ein paar kleinen Runden weiß ich wo ich lang fliegen muss. An den Bäumen vorbei, über die große Straße und über die bunten Häuser. Dann sehe ich schon meinen Schlag. Ich bin Zuhause. Zur Belohnung bekomme ich und natürlich auch die anderen, eine ganze Futterkrippe voll leckerer Sämereien. Ein paar Nüsse sind auch dabei. Das hat Spaß gemacht.

Heute geht es zum ersten Mal auf große Tour. Wieder greifen mich die Hände und stecken mich und ein paar meiner Freunde in den Korb. Diesmal dauert es viel länger bis sich die Klappe wieder öffnet. Ich glaube ich bin ganz weit weg von meinem Schlag. „Ganz ruhig kleine Lisa!“, beruhige ich mich, „du findest den Weg schon.“ Ich ziehe meine Runden und weiß wieder wo es lang geht. Ich fliege und fliege. Über Bäche, kleine Seen, große Straßen, über Häuser, an Bäume vorbei und immer weiter. Ich bin müde, ich habe Durst aber ich muss weiter. Endlich sehe ich ihn. Dort ist mein Schlag. Gleich bin ich Zuhause. Aber was ist das. Der große Schatten. Ich bin erschöpft, ich kann mich nicht wehren. Er packt mich. Seine Krallen fahren in meinen Körper. Es brennt. Es tut weh. Ich muss mich wehren. Ich muss kämpfen. Ich gebe nicht auf. Ich zappele mit meinen letzten Kräften. Er lässt mich los. Ich falle in die Tiefe. Der Boden kommt immer näher. Meine Flügel öffnen sich. Mit meinen letzten Reserven kann ich den Aufprall abdämpfen. Ich taumele Richtung Schlag. Ich habe es geschafft. Mir tut alles weh, ich bin erledigt, aber ich habe es geschafft. Ich muss mich ausruhen. Durst habe ich, Hunger habe ich. Ich trinke Wasser, aber es läuft an meinem Hals wieder raus. Ich picke ein paar Körner, aber alle kullern aus meinem Hals wieder raus. Alles ist voll Blut.

 

Die großen Hände fassen mich so vorsichtig an und trotzdem ist der Schmerz kaum auszuhalten. Die Hände legen mich behutsam in einen Korb. Als sich die Klappe wieder öffnet, kann ich nicht weg fliegen. Ich werde von zwei fremden Händen gefasst. Diese nähen mit Nadel und Faden meine große Wunde, die der Schatten in meinen Körper geritzt hat, wieder zu. Wenn ich könnte, würde ich schreien. Völlig erledigt und voller Schmerzen legt mein Herrchen mich in einen kleinen Stall. Ich darf nicht zu den anderen. Ich muss mich ausruhen. Ich schlafe ein. Aber ich lebe noch.

Ich öffne meine Augen. Ich habe Durst und trinke. Es klappt. Ich habe Hunger und picke ein paar Körner. Sie machen mich satt. Ich werde wieder gesund. Wenn ich aus meinem Käfig schaue, kann ich die anderen Tauben fliegen sehen. Vermissen sie mich? Suchen sie mich? Wissen sie was passiert ist? Passen sie auf den großen Schatten auf?

 

Heute darf ich wieder zurück zu den anderen Tauben. Ich bin so froh wieder da zu sein. Ich werde gefragt was passiert ist und ich erzähle ihnen von dem großen Schatten. Wie er mich gepackt hat, mich verletzt hat aber dann wieder fallen ließ...
Während ich mit zitternder Stimme erzähle, spüre ich meine Angst.

 

Ich hatte Angst. Ich habe Angst. Ich werde nie mehr ohne Angst leben.

Downloads

Sportliche Vergabebedingungen 2024
Reiseordnung 2024
Verbandssatzung 2024
Die Brieftaube - Nr. 5 2024
Taschenkalender 2023
Taubenklinik Produktkatalog 2023

immaterielles kulturerbe brieftaubenImpressum / Datenschutzerklärung

 

© Copyright Verband Deutscher Brieftaubenzüchter e.V.
Designed by www.garhammer-brieftauben.de

Alle Rechte vorbehalten